MARIA TANASE - Der Zaubervogel
Auf die Frage, warum fast vier Jahrzehnte nach dem Tod der Sängerin Maria Tanase vergehen mussten, bis im Ausland CDs mit ihren Liedern erschienen, weiß in Rumänien kaum jemand eine plausible Antwort. Der Zweite Weltkrieg, der eiserne Vorhang, ihr früher Tod , es gibt viele Gründe dafür, dass Maria Tanase jenseits des Balkans bis Ende der neunziger Jahre nur Insidern bekannt war.
In Deutschland hat Maria Tanase nie gesungen, sie hat es nur einmal gesehen, bei einem Zwischenstopp auf der Reise von Bukarest nach New York, wo sie im Frühjahr 1939 auf der Weltausstellung im rumänischen Pavillion mit dem Orchester von Grigoras Dinicu vor einem internationalen Publikum mit Volks- und Vorstadtliedern auftrat und Reihenweise die Herzen amerikanischer Männer eroberte. Die 25-jährige muss sich damals sehr bedrängt gefühlt haben, denn trotz ihrer enthusiastisch gefeierten Auftritte - einige Agenten legten ihr Angebote für Konzerte in den Vereinigten Staaten vor - verließ sie zur Überraschung ihrer Kollegen schon nach ein paar Wochen die Metropole New York und reiste nach Bukarest ab, in die Stadt, in die sie immer wieder zurückkehren würde. Der Krieg stand vor der Tür, und in der Heimat häuften sich die verbalen und tätlichen Übergriffe auf viele ihrer demokratisch gesinnten jüdischen Freunde.
Das Elternhaus der Maria Tanase stand in der Bukarester Vorstadt Caramidari. Hier haben Ion Coanda und Ana Tanase Anfang des letzten Jahrhunderts eine Gärtnerei betrieben, hier erblickte Maria Tanase im September 1913 als drittes und anfangs ungewünschtes Kind das Licht der Welt. Schon als Halbwüchsige suchte sich Maria Tanase Arbeit in einem Büffet in der Innenstadt und traf den jungen Theaterregisseur Sandu Eliad. An seiner Seite tauchte sie ein in das Herz der sprunghaft wachsenden rumänischen Metropole, die in den dreißiger Jahren wegen ihrer mondänen Bars und Restaurants "Paris des Ostens" genannt wurde. Die blutjunge, attraktive Maria Tanase entwickelte sich zu einer umschwärmten Figur großstädtischer Salons, denn es war kaum zu überhören, dass dieses Mädchen aus der Vorstadt ein starkes Gespür für die alten Lieder besaß, die sie erst im Freundeskreis und später auch in den Plattenstudios von Lifa und Columbia immer wieder sang.
Mit ihren unverstellten Interpretationen und ihrer warmen Alt-Stimme traf Maria Tanase die Sehnsucht ihrer intellektuellen Freunde nach einem anderen, ursprünglichen Rumänien,das in der Zwischenkriegszeit immer mehr an Bedeutung verloren hatte. Dieses ländliche, scheinbar intakte Rumänien hatte auf dem Dorf und in den Volksliedern überlebt. Die Tanase, eine neue Interpretin dieser alten Lieder, wurde als große Entdeckung gefeiert. Durch die Presse ging das Bild von der Vorstadtblume, die in den Salons erblühte, es kursierte damals auch das Wort vom Zaubervogel, der das rumänische Volkslied zum zweiten Mal erschaffen habe.
Doch was für eine Frau war diese Maria Tanase?
Sie war extrem neugierig, sehr elegant, zuweilen extravagant. Sie trat sehr frei in Diskussionen auf, hatte viel Humor und konnte Tontechniker mit ihrer Direktheit manchmal bis an den Rand der Verzweiflung bringen. An ihre umwerfende Schlagfertigkeit erinnern sich viele, die sie kannten. Dabei hatte Maria Tanase nie eine besondere musikalische Ausbildung genossen, sie war Autodidaktin und eine Frau mit einer außergewöhnlichen Intuition. Und obwohl sie eine sehr gefragte Künstlerin war und hohe Tantiemen erhielt, hatte sie doch niemals Geld. Sie teilte das Geld immer nach allen Seiten aus und konnte ohne Zögern die Gage eines ganzen Studiotages bei Electrecord einem ihrer Musiker geben, der zu Hause ein krankes Kind versorgen musste - anschließend lieh sie sich Geld für ein Taxi nach Hause.
Maria Tanase war eine Frau, die hartnäckig ihr Ziel verfolgte und dabei nicht vergaß zu leben. Aber in ihr war auch eine große Unruhe und Melancholie. Bis an ihr Lebensende blieb sie eine Suchende; dass sie häufig ihre Adresse änderte und ununterbrochen rauchte, gehört dazu. Ihre Stimme hatte bis zuletzt diese große Suggestivkraft und fühlbare Tiefe, die ihren Ruf als rumänische Edith Piaf begründeten. Auf der Bühne und im Studio war Maria Tanase eine große Perfektionistin und sehr kreativ. Sie hat wohl niemals das selbe Lied auf die gleiche Weise gesungen. Auch wenn die Melodielinien die gleichen waren, ging das Lied immer durch ihre Art zu Fühlen, durch ihr Wesen hindurch. Die Intensität ihres Lebens und die Entwicklung dieser großen Sängerin spürt man in jedem ihrer unvergeßlichen Lieder.
Grit Friedrich