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Notes from a Musical Journey

Das Chicago Klezmer Ensemble besteht seit 1984 und ist damit eine der ältesten Klezmer-Gruppen in Amerika. Ende der achtziger Jahre spielten sie, was ich damals als "die authentischste und aufregendste jüdische Instrumentalmusik in diesem Lande" bezeichnete.

Zu dieser Zeit hatte der Leiter des Ensembles, Kurt Bjorling, nahezu das gesamte zugängliche Klezmer-Repertoire gelernt und und gab es tatkräftig an aufstrebende Instrumentalisten weiter. Im Bereich der Klezmermusik war sein Stil auf der Klarinette bereits einer der besten weltweit. Die vorliegenden Aufnahmen sind das Resultat dieser dreizehn Jahre, aus Auftritten, Experimenten und neuen Kompositionen, die, wie Michael Shapiro schreibt, "die einzigartigen Charakteristika des Klezmer-Repertoires im Kern herausarbeiten und verstärken".
Musikalität ist die zentrale Qualität des Chicago Klezmer Ensembles, und sie haben diese Qualität im jüdischen Klezmer-Repertoire und -Stil gefunden. Während viele jüdisch-amerikanische Klezmer-Gruppen musikalischen Geschmack ethnischer Nostalgie untergeordnet haben, findet dieses Ensemble die Essenz der musikalischen Strukturen, die der Klezmermusik zugrunde liegen, und macht sie zu ihrem Ausgangspunkt. Aus diesem Grunde sind sie beides: "Traditionalisten" durch das Reflektieren osteuropäisch-jüdischen Musikstils vor dem Einsetzen der Emigration, und "Avantgarde" durch das Schaffen eigener Arrangements und erfolgreicher neuer Kompositionen. Die Tatsache, daß die Gruppe nicht überwiegend jüdisch ist, hat es ihr erlaubt, die Quellen der Klezmermusik objektiv und ohne Nostalgie oder innerethnische Polemik zu betrachten.

Obwohl Klezmermusik in Amerika durchaus Entwicklungen vorzuweisen hat, war das gesamte Leben hier einer Bewahrung oder Entwicklung dieser Musik nicht förderlich, so daß nur durch das Zurückgehen auf ihre Quellen in der Alten Welt ein musikalisch zusammenhängendes Bild gezeichnet werden kann. Dazu muß man nicht vor neunzig Jahren in einem Schtetl geboren sein, sondern vielmehr die zahllosen musikalischen Hinweise aufnehmen, die in alten europäischen Aufnahmen und Notationen zu finden sind, ohne ein amerikanisch-jüdisches Besserwissen zu bemühen. Das Chicago Klezmer Ensemble und seine jeweiligen Mitglieder haben das mit bemerkenswertem Erfolg getan und eine musikalische Sprache extrahiert, die sie wie Einheimische sprechen lernten und in der sie ihre musikalische Poesie komponieren.
Amerikanische Juden haben lange versucht, sich als religiöse, nicht als ethnische Gemeinschaft zu definieren, und so sind sie mit dem Mythos aufgewachsen, daß osteuropäische Juden "keine eigene Musik" hatten. Nichtjüdische Quellen zeigen jedoch eindeutig, daß jeder in Polen, Litauen, der Ukraine oder in Moldavien wußte, daß dies nicht der Fall war, und tatsächlich existierten viele Nichtjuden, die als Gönner oder gar als Interpreten jüdischer Musik auftraten, und zwar deshalb, weil sie anders und reizvoll war. Die frühesten Forschungen über Klezmermusik im Russischen Reich stammen von den nichtjüdischen Musikwissenschaftlern Lipajew und Findeisen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts errang der Klezmer-Zymbalist Michl Gusikow die Aufmerksamkeit eines großen nichtjüdischen Konzertpublikums in ganz Deutschland und Frankreich, und der polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz schuf die literarische Figur des Klezmers Jankel Cymbalist in seinem Epos "Pan Tadeusz".
Anders als die russischen Forscher der Zarenzeit agiert das Chicago Klezmer Ensemble in einer Situation, in der Juden nicht eine verfolgte Minderheit, sondern immer stärker ein assimilierter Teil des amerikanischen mainstream sind. Heute gibt es keine soziale Barriere, die Kurt Bjorling und sein Ensemble davon abhält, eine führende Rolle als Interpreten und Erforscher der Klezmertradition einzunehmen. Dabei imitieren sie keine der amerikanisch-jüdischen Gruppen, sondern setzen einen Prozeß in Gang, für den sie selbst das Modell sind. Zuallererst spielen sie exzellente Musik, und gleichzeitig führen sie amerikanische Klezmermusik zurück zu ihren europäischen Wurzeln und in völlig neue Richtungen.Um den Vortrag des Chicago Klezmer Ensembles zu verstehen, müssen heutige Hörer wissen, daß Klezmermusik vor dem Einsetzen der Massenemigration eine Doppelfunktion hatte, einmal als ekstatische Tanzmusik, zum anderen als anspruchsvolle Musik zum Zuhören. In Europa waren nur die besten und gesuchtesten Klezmorim, wie der Zymbalist Gusikow oder der Geiger Peducer, in der Lage, eine solche Leistung zu vollbringen. In Amerika hatte man für einen solch anspruchsvollen Stil wenig Bedarf; er hätte in Konkurrenz zu anderen Formen populärer und klassischer Musik gestanden, die für Juden hier zugänglicher waren, als es in Osteuropa der Fall gewesen war. Von amerikanischen Klezmorim wurde lediglich verlangt, Tanzmusik für die Emigrantengemeinschaft zu spielen, und bereits vor dem Zweiten Weltkrieg begannen sie, sogar diese Möglichkeit zu verlieren. Wenige, wenn nicht gar keine der Meister des anspruchsvollen Klezmer-Stils emigrierten je nach Amerika, so daß man von den Enkeln der Emigranten heute schwerlich verlangen kann, mit ihrer Musik vertraut zu sein. Das Chicago Klezmer Ensemble hat die Lücke gefüllt und diesen anspruchsvollen europäischen Klezmer-Stil zur Basis ihres eigenen Vortrages gemacht. Sie haben einen langen Weg zurückgelegt und dabei Klezmermusik aus dem Bereich der ethnischen Gemeinde in eine universelle künstlerische Sphäre bewegt. Dafür verdienen und bekommen sie ein ständig größer werdendes Publikum unter den Liebhabern der Klezmermusik.
Walter Zev Feldman

Tracks:

1. Doyna and Sirba Populara (trad./Bjorling)  6:40
2. Sweet Home Bukovina (trad./arr. C.K.E.)  7:14
3. Mazltov - Congratulations (trad./arr. C.K.E.)  4:25
Hörbeispiel:
4. Rumeynisher Bulgarish - Romanian Bulgar (trad./arr. C.K.E.)  3:45
Hörbeispiel:
5. Hora Monzingo (Monzingo)  5:29
6. Yosl Ber (trad./arr. Bjorling)  5:09
7. Yismekhu V'malkhuskho (trad./arr. C.K.E.)  2:48
8. Trinkt Briderlakh! - Drink Brothers! (trad./arr. Bjorling)  6:41
9. Shaleshudes - Third Meal (Monzingo)  5:30
10. A Hora Mit Tsibeles - A Hora with Onions (trad./C.K.E.)  6:22
11. A Yidishe Neshome - A Jewish Soul (Bjorling)  4:42
Hörbeispiel:

Gesamtspielzeit: 58:50

 

 

The Chicago Klezmer Ensemble:
Kurt Bjorling: Klarinette, Tsimbl, Akkordeon
Eve Monzingo: Klarinette, Piano
Joshua Huppert: Violine
Deborah Strauss: Violine
Alan Ehrich: Kontrabass


Veröffentlichungsdatum: 10.03.98

20-seitiges Booklet in Englisch, Französisch und Deutsch