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Den, der liebt und verläßt, wird Gott strafen ...
Mit CINE IUBESTE SI LASE (La malédiction d'amour), einem Fluch auf alle untreuen Seelen, debütierte Maria Tanase im Februar 1938 auf Radio Bukarest. Damit begann die Karriere einer Sängerin, die bis heute in Rumänien unvergessen ist. Nur wenige Monate nach ihrem Radiodebut mit Volksliedern stand sie schon auf der Bühne Bukarester Revuetheater wie dem ALHAMBRA und sang in mondänen Gartenrestaurants der weltläufigen rumänischen Kapitale, die damals nicht grundlos "Paris des Ostens" genannt wurde.

Woher kam diese junge Frau, die mit ihrer warmen Stimme und ihren einfühlsamen Interpretionen Kritiker und Zuhörer Ende der dreißiger Jahre schnell auf ihre Seite zog? Maria Tanase wurde im September 1913 als drittes Kind von Ana Munteanu und Ion Coanda Tanase in der Bukarester mahala (Vorstadtsiedlung) Caramidari geboren. Sie lernte singen und laufen zur selben Zeit, denn schon früh hörte sie von den Mädchen und Frauen, die sich bei den Tanases als Gärtnerinnen verdingten, Lieder aus allen Ecken des Landes. Und in den Vergnügungslokalen der Vorstädte dominierten schon damals orientalische Weisen, die Lieder der Lautarii, die meist von großer Liebe und starkem Wein erzählten. Auch diese Lieder liebte und sang Maria Tanase.
Ein Konservatorium hat Maria Tanase nie besucht, aber nach der Kindheit im "Garten der Lieder" wurde das Folkloreinstitut Constantin Brailoius zu ihrer zweiten Schule, und ab Ende der dreißiger Jahre ging sie dann selber auf die Suche nach neuen Liedern. Nicht nur diese unermüdliche Neugier unterschied Maria Tanase von anderen Sängerinnen. Sie besaß ein besonderes Gespür für das Wechselspiel von Wort und Melodie und interpretierte mit der selben legendären Intensität Lieder aus der Maramuresch, aus Oltenien, aus Siebenbürgen, aus der Dobrudscha und aus der Moldau.
In Rumänien sind bis Ende der achtziger Jahre gerade mal zwei Bücher über Maria Tanase erschienen. Doch beide hatten Lücken, sagten kaum etwas über die Jahre zwischen 1939 und 1944. Erst in Maria Roscas zweibändiger Biografie MARIA TANASE PRIVIGHETOAREA DIN "LIVADA CU DUZI", erschienen im Sommer 2000, erfährt man mehr über diese Zeit. Die Anhänger der faschistisch-terroristischen Legionärsbewegung nahmen Tanases demokratisch orientierten Freundeskreis zum Anlaß für eine Verleumdungskampagne, die in einem mehrmonatigen Auftrittsverbot gipfelte. Und das Propagandaministerium der im Herbst 1940 mit den Legionären paktierenden Antonescu-Regierung wies sogar die Zerstörung all ihrer Rundfunkaufnahmen an, weil Maria Tanase angeblich die rumänische Folklore verfälscht habe.
Wenig später sollte Maria Tanase allerdings auf einem Fest singen, das von eben diesem Ministerium organisiert worden war. Sie ist dort nur unter der Bedingung aufgetreten, dass einige ihrer jüdischen Künstlerkollegen nicht in die Arbeitslager zwischen Bug und Dnestr deportiert werden. In einem Interview über ihre Anfänge befragt, hat sich Maria Tanase damals auch bei Harry Brauner bedankt, einem Musikethnologen, der sie 1935 ins Folklorearchiv eingeführt hat. Öffentlich über die Verdienste eines Juden zu sprechen, war während der Zeit der Antonescu-Diktatur ein mutiger Tabubruch, den Harry Brauner Maria Tanase nie vergessen hat.
Nach dem Ende des Krieges setzte Maria Tanase ihre Karriere ungebrochen fort. Sie tourte immer wieder durch Rumänien, gastierte in Bulgarien, Jugoslawien und der Sowjetunion und nahm einige ihrer schönsten Lieder in französischer Sprache auf, darunter die DOINA DIN DOLJ, ein Lied, das voller Bitterkeit von der Sehnsucht nach wahrer Liebe erzählt. Die Doina ist so etwas wie der rumänische Blues, und Maria Tanase verkörpert bis heute die ideale Doina-Interpretin, denn sie hat vor allem in ihren letzten Lebensjahren unüberhörbar "mit blauem Herzen" gesungen. Bis an ihr Lebensende blieb sie eine rastlos Suchende, eine Frau, deren großer Humor nicht über ihre noch größere Melancholie hinwegtäuschen konnte.
Freude und Musikerkollegen erinnern sich bis heute mit einer solchen Intensität an diese Ausnahmesängerin, dass man glaubt, Maria Tanase sei erst vor wenigen Jahren gestorben. Sie alle sprechen von der großen Leidenschaft, mit der die Tanase gearbeitet, gelebt und geliebt hat. Maria Tanase hat sich nie aus Kalkül den Volksliedern gewidmet, was man sicher einigen ihrer Nachfolgerinnen vorwerfen könnte. Der Musikethnologe und Gründer des rumänischen Folklorearchivs, Constantin Brailoiu, Bewunderer und Förderer der jungen Sängerin, hat einmal über Maria Tanase

gesagt, dass sie mit ihren Interpretationen die rumänischen Volkslieder ein zweites Mal erschaffen, ihnen neues Leben eingehaucht hat. Auch weil sie die geniale Gabe besaß, jedes Lied so zu interpretieren, wie sie es fühlte, und diese Gefühle mit ihrem Publikum zu teilen, wird Maria Tanase in ihrer rumänischen Heimat fast wie eine Heilige verehrt.
Als sie im Juni 1963 mit neunundvierzig Jahren an Krebs starb, nahm ein ganzes Land von ihr Abschied. Schon am frühen Morgen waren Balkons und Fenster an der Strecke des Trauerzugs besetzt, Busse und Straßenbahnen unterbrachen ihre Fahrt, zehntausende Arbeiter verließen die Fabriken, denn sie wollten Maria Tanase auf ihrem letzten Weg zum Friedhof Belu begleiten.
Grit Friedrich

Tracks:

1. Lunca, lunca (Weide, Weide)   3:23
2. Bun ii vinul ghiurghiuliu (Gut ist der Roséwein)   3:40
3. Lume, lume (Welt, Welt)   4:29
Hörbeispiel:
4. Am iubit si-am sa iubesc (Ich habe geliebt und werde lieben)   2:30
5. La Malédiction d'amour (Der die Liebe verrät)   3:25
Hörbeispiel:
6. Danse Montagnarde (Hei, mein Liebster)   2:12
7. Tiens, tiens, tiens et na! (So ist das ...)   2:29
8. Doina (Doina aus Dolj)   5:50
9. Pana cand nu te iubeam (Als ich dich noch nicht liebte)   4:11
10. Lung ii drumul Gorjului (Weit ist der Weg nach Gorj)   3:26
11. Pe deal pe la Cornatel (Auf dem Hügel bei Cornazel)   2:14
Hörbeispiel:
12. Doda, doda (Schwester, Schwester)   4:34
13. Uite dealu, uite via (Sieh den Hügel, sieh den Weinberg)   2:55
14. Trei focuri arde pe lume (Drei Feuer brennt auf der Welt)   4:30
15. Cat ii Maramuresul (In der ganzen Maramuresch)   4:04
16. Un tsigan avea o casa (Ein Zigeuner hatte ein Haus)   3:52
17. Cantec de leagan (Wiegenlied)   4:53
Gesamtspielzeit: 62:39

 

 

 

 

Aufgenommen 1955 - 57 in Bukarest, Rumänien
Gemastert und restauriert von Torsten Lenk, Misiak Mastering, Hamburg
Zusammenstellung Brigitte Backes und Till Schumann

Produktionsüberwachung: Till Schumann
Lizensiert von Electrecord, Rumänien   
32-seitiges Beiheft in Deutsch, Englisch + Französisch mit allen Liedtexten in Deutsch
Veröffentlicht am 1.12.2000