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Pjotr Leschenko: 1935RIENCD06

Tangos, Foxtrots & Romances

Pjotr Konstantinowitsch Leschenko - das ist der „König des russischen Tango“. In den dreißiger Jahren, bis in die Fünfziger war kein russischer Sänger der Emigration so populär wie er.

Nicht nur im Ausland, sondern auch in Rußland selbst, obwohl dort keine einzige Platte von ihm offiziell herausgegeben wurde.

Leschenko - das galt als musikalische Konterrevolution, als nicht geeignet, den Aufbau des Kommunismus musikalisch zu begleiten. Gehört wurde er trotzdem. Heimlich. Seine Platten waren Schmuggelware. Sie kamen aus dem Baltikum, aus England und aus Deutschland. In Rußland wurden sie schwarz nachgepreßt. Auf den „Rippen“ - alten, ausgedienten Röntgenplatten. Schon lange bevor Pjotr Konstantinowitsch Leschenko im Juli 1954 in einem Straflager bei Bukarest starb, war er zur Legende geworden. Bekannt war nur seine Stimme. Sie hat überlebt. Ihre Faszination ist ungebrochen.

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Wer er war, der Mensch hinter dieser Stimme, ist nur mühsam im Dickicht von Propaganda und Gerüchten auszumachen. Geboren wird er am 2. Juni 1898 in dem kleinrussischen Dorf Isaewa, in der Nähe von Odessa. Seine Mutter Marija bringt ihn unehelich zur Welt. Über den Vater gibt es Spekulationen. Die kleidsamste Theorie kreist um den ortsansässigen Großgrundbesitzer.
Mit dem Stiefvater zieht er nach Kischinow, nach Bessarabien, das seit 1873 zu Rußland gehört. In der Gemeindeschule wird man auf Pjotrs musikalische Begabung, seine Stimme und sein absolutes Gehör aufmerksam. Gitarre spielen lernt er ohne jeden Unterricht. Der erste Weltkrieg und die Revolution machen ihn zum Emigranten wider Willen: Rußlands Nachbar Rumänien nutzt die Gunst der Stunde und verleibt sich ein Stück Rußlands ein: Im Januar 1918 okkupieren rumänische Truppen Bessarabien und Pjotr Leschenko wird über Nacht zum rumänischen Staatsbürger.

 


Tracks:

 

 


Gesamtspielzeit 65:55


Aufgenommen 1935 in London/England und Riga/Lettland

Restauriert und gemastert 1996 von MISIAK Mastering, Hamburg


veröffentlicht am 10.12.1996

 



Einen Beruf hat er nicht gelernt, er muß sich mit seinem musikalischen Talent durchbringen. Zusammen mit seiner lettischen Frau Zinaida - einer Tänzerin - führt er eine Mischung aus Ballett und Folklore auf. Das Paar macht Furore und geht auf Tournee: nach Ägypten, Palästina, Persien, in die Türkei. In Berlin treten sie in Charlottenburg auf, im russischen Restaurant „Tari Bari“. Aber Leschenkos Durchbruch als Sänger kommt in Riga. Zinaida ist schwanger, Leschenko muß allein auftreten - und singen: er singt russische Zigeunerlieder, die alle seine Zuhörer kennen, aber mit einer Stimme und einer Interpretation, die den Nerv treffen. Und nicht nur bei seinem russischen Publikum. Eine Welle der Begeisterung trägt Leschenko durch ganz Europa. Nach Jugoslawien, Wien, Paris, selbst nach England, weil eine Lady Laudley es so will.

1935 hat Leschenko den Höhepunkt seines Erfolges erreicht. Er muß nicht mehr zu seinem Publikum reisen, das Publikum kommt zu ihm: ins „Leschenko“ nach Bukarest. Das „Maxim des Ostens“, wie es genannt wird. Leschenko engagiert die besten Musiker für sein Orchester. Am Anfang des Abends stehen immer die Zigeunerlieder, nach der Pause betritt ein anderer Leschenko die Bühne: im Frack, mit weißseidenem Einstecktuch. Und es folgen die Tangos, von denen die meisten nur für ihn komponiert wurden.

Mit dem Zweiten Weltkrieg beginnt der Abstieg. Im August 1944 erklärt Rumänien Deutschland den Krieg, wenig später rückt die Rote Armee in Bukarest ein. Ihr Kommandant, General Bulganin, wird Leschenkos Förderer. Jeden Abend singt Leschenko jetzt für die Offiziere der Roten Armee, die endlich die „Legende Leschenko“ leibhaftig erleben können. Als Stalin in Moskau die Zügel fester anzieht, muß Bulganin gehen. Das „Leschenko“, das Restaurant des „weißen Emigranten“, wird liquidiert. Pjotr Konstantinowitsch Leschenko gerät in die Mühlen der Sowjetisierung: Auftrittsverbote, seltene Konzerte. Im Zigeunerkostüm wird er von der Bühne herunter verhaftet und stirbt am 16. Juli 1954 in einem Lagerlazarett in der Nähe Bukarests.

Russen überall auf der Welt haben ihn im Gedächtnis behalten - mit Liebe und Verehrung. Und Sammler in Rußland haben seine eingeschmuggelten Original-Schellacks und die Schwarzpressungen bewahrt - nicht ungefährlich in Zeiten des Sowjet-Regimes.

Die Aufnahmen auf den CDs Pjotr Leschenko 1935 (RIENCD06, 1996), Pjotr Leschenko 1931 (RIENCD12, 1997) und Pjotr Leschenko 1934-1937 (RIENCD18, 1998) stammen von diesen alten Original-Schallplatten und wurden mit großem technischen Aufwand und sehr viel Einfühlung restauriert.



* Anmerkung zur Schreibweise:
Die exakte Übertragung des Namens Leschenko aus dem Kyrillischen wäre Leschtschenko. Aus Gründen der Vereinfachung und weil in der Aussprache im Russischen das „schtsch“ zu einem langen „sch“ verschliffen wird, haben wir uns durchgängig für die Schreibweise „Leschenko“ entschieden. Sprachpuristen und -nationalisten mögen uns verzeihen.


Uwe Sauerwein in der „Berliner Morgenpost“ vom 30.12.1996:

Tango und Foxtrott als heiße Ware

Erinnerungen an Pjotr Leschenko, den König der russischen Salonmusik

Es war in jenen frühen Zwanzigern, als der Berliner Bezirk Charlottenburg im Volksmund noch „Charlottengrad“ hieß. Im „Tari Bari“, einem der zahllosen Nachtclubs der in Berlin so massenhaft vertretenen Exil-Russen, trat ein junger Mann auf, der auf seiner Tournee von Paris nach Ägypten, Palästina, Persien und die Türkei auch an der Spree Station machte. Nur wenigen war der Name des Sängers und Gitarristen geläufig. Doch kurze Zeit später, in Riga, sollte Pjotr Konstantinowitsch, genannt Pierre Leschenko, der Durchbruch zu Weltruhm gelingen.
Noch heute ist der „König des russischen Tango“ in der gesamten ehemaligen Sowjetunion ein Begriff. Bis in die fünfziger Jahre war kein russischer Sänger so beliebt wie Leschenko, obwohl in Rußland keine einzige Platte von ihm veröffentlicht wurde. Der 1898 in einem Dorf bei Odessa geborene Interpret, der eigentlich Tänzer werden wollte, galt den roten Machthabern mit seiner Salonmusik als Bourgeois, ja mitunter als Staatsfeind.
Auch deshalb lebte Pjotr Leschenko immer außerhalb der Sowjetunion: Zuerst in Bessarabien, das damals zu Rumänien gehörte, danach in Paris, dann in der Heimat seiner lettischen Frau, der Tänzerin Zinaida, später in Bukarest. Gefeierte Tourneen führten ihn in die meisten europäischen Länder.
Auf Umwegen kehrt der herzzerreißende Sänger nun nach Charlottenburg zurück. Im „Canzone“, dem Plattenladen für Weltmusik am Savignyplatz, taucht kurz nach der Wende ein junger Russe auf. Im Gepäck jene Scheiben, die in seiner Heimat als Schmuggelgut oder auch als Schwarzpressung, auf ausgedienten Röntgenplatten, heimlich reißenden Absatz fanden. Die Betreiber des Ladens sind begeistert. Eine zweite Lieferung der „heißen Ware“ Salonmusik wird unter obskuren Umständen im Zug Moskau-Amsterdam übergeben. Schließlich betreibt das „Canzone“ noch einen eigenen kleinen Plattenverlag...
„Pjotr Leschenko - 1935“ lautet der orthographisch streitbare Titel der CD, erschienen auf dem Label Oriente, die 21 wunderbar abgemischte Stücke frisch und lebendig auch dem HiFi-verwöhnten Ohr näherbringt. Lieder eines einzigen Jahrgangs, welche mit Tangos argentinischer Machart, mit flottem Foxtrott und eingehenden Zigeunerromanzen die stilistische Bandbreite, die eindringliche Interpretation und die Kunst des geschmackvollen Arrangements jenes Mannes verdeutlicht, dem das Schicksal so übel mitspielte.
1935 war zugleich das Jahr, in dem Lestschenko in Bukarest jenes Nachtlokal einrichtete, das als „Maxim des Ostens“ von Anhängern aus ganz Europa besucht wurde. Als im August 1944 die Rote Armee in der rumänischen Hauptstadt einrückte, gab Lestschenko Tag für Tag Konzerte ohne Gage in Truppenunterkünften und Lazaretten. Der Kommandant der Sowjetarmee, General Bulganin, wurde Förderer des Sängers, bevor ihn Stalin absetzte. Lestschenkos Lokal wurde geschlossen, er selbst schließlich von der Bühne herab verhaftet. Am 16. Juli 1954 starb der Sänger in einem Lagerlazarett nahe Bukarest. Die Berliner CD, der im neuen Jahr eine weitere mit Liedern von 1931 folgen soll, ist ein kleines Stück musikalische Wiedergutmachung an einem großen Künstler.