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Historische Tangoaufnahmen aus der "alten Welt".

RUMÄNIEN
JEAN MOSCOPOL (1903-1983)
Jean Moscopol entsprach ganz dem Typus des kosmopolitischen und attraktiven Bonvivant. Er sprach fließend Rumänisch, Griechisch, Französisch, Englisch, Deutsch und Italienisch. Die Frauen lagen dem charismatischen Sänger mit der einschmeichelnden, aber prägnanten Stimme zu Füßen. Die Eleganz und unterschwellige Erotik des Tango waren sein natürliches Metier, nie betrat er ohne Frack die Bühne. Er spielte bis 1936 über 300 Titel ein, sein Repertoire umfaßte die lasziven und exotischen Lieder der bekanntesten Komponisten seiner Zeit. Er interpretierte sie im Stil seiner französischen Zeitgenossen Maurice Chevalier, Charles Trenet und Tino Rossi. Der Komponist Henry Malineanu, der viele Lieder für ihn schrieb, sagte über den Sänger: "Jean Moscopol hatte neben einem Riesentalent vor allem Intelligenz, Geschmack und Raffinement."
Moscopol stammt aus Braila, einer Hafenstadt an der unteren Donau. Seine Familie hat griechische Wurzeln. Er will ursprünglich Jura und Literaturwissenschaften studieren, entscheidet sich aber nach kurzer Bürolaufbahn mit 26 Jahren für eine Karriere als Sänger. Nach einem Intermezzo in Bukarest, wo er als Sänger im Radio debütiert und Nebenrollen in Theater und Film spielt, geht er 1930 nach Berlin und studiert klassischen Gesang bei Professor Korst. Er singt in Nachtclubs und Nobellokalen, u.a. im Rumänischen Casino in der Fasanenstraße, und in zwei UFA-Filmen. Zurück in Bukarest, dem "Paris des Ostens", tritt er in den berühmtesten Restaurants und Nachtclubs auf und startet eine Erfolgskarriere, die bis 1945 anhält.
Die Etablierung eines stalinistischen Systems in Rumänien markiert den tragischen Bruch in seiner Biographie. Er emigriert noch 1945 in die USA, wo er sich als Nachtportier in einem New Yorker Hotel durchschlägt. Er steckt sein Geld in ein kleines Ensemble, mit dem er einige der alten Tangos und Romanzen, aber auch neue Lieder über das Leben im Exil und andere Stücke mit antikommunistischem Inhalt aufnimmt. Jedoch gelingen ihm weder ein Anknüpfen an frühere Erfolge noch ein künstlerischer Neuanfang. Danach verliert sich seine Spur; er soll 1983 in Los Angeles gestorben sein.
TITI BOTEZ (1901-1957)
Titi Botez war einer der beliebtesten Sänger der goldenen Jahre des rumänischen Tango zwischen 1930 und 1945. Sein emotionaler Stil, verbunden mit einer warmen und vibrationsreichen Stimme, verschafften ihm den Beinamen "Der unvergängliche Liebhaber". Er trat in allen wichtigen Etablissements Ost- und Mitteleuropas auf, machte Schallplattenaufnahmen in Bukarest, Berlin, Wien und Budapest und spielte in rumänischen Filmen. Seine größten Erfolge hatte er in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Petre Andreescu.

 

TÜRKEI

Für viele türkische Musiker war der Tango die erste Begegnung mit "westlicher" Musik. Wie in den meisten europäischen Metropolen eroberte der Tango in den späten 20er und den 30er Jahren auch die Nachtclubs und Tanzlokale Istanbuls, das in dieser Zeit eine kosmopolitische Stadt mit vielen Ausländern und einem eleganten Publikum war. Es entwickelte sich - unter Mitwirkung armenischer und jüdischer Musiker - sehr schnell eine blühende Tangoszene, die auch musikalisch bald nicht mehr auf den argentinischen bzw. westeuropäischen Import angewiesen war und kompositorische Eigenständigkeit bewies.

SEYYAN HANIM (1913-1989)

Im osmanischen Reich waren öffentliche Auftritte für türkische, d.h. muslimische Frauen undenkbar. Schauspielerinnen und Sängerinnen waren jüdischer, armenischer, griechischer oder levantinischer Herkunft und in keinem Fall islamischen Glaubens. Die erste Türkin, die es, bedingt durch die gesellschaftlichen Umwälzungen der laizistischen Atatürk-Revolution, überhaupt wagte, eine Bühne zu betreten, war eine Tangosängerin - Seyyan Hanim. Sie war Protegé des Staatspräsidenten Kemal Atatürk, der ihre Karriere nach Kräften förderte, auch weil sie als Leitbild und Symbol für seine Politik der Öffnung nach Westen dienen sollte.

Von tragischer Ironie ist, daß diese Frau, die durch ihre erfolgreiche Karriere ein Zeichen für die Emanzipation türkischer Frauen setzte, nach ihrer Heirat mit einem Offizier den Rest ihres Lebens in einem ostanatolischen Provinznest verbrachte, aus dem sie einmal im Jahr, heimlich und nur mit Wissen ihres Mannes, für einige Tage verschwand, um in Istanbul aufzutreten und Plattenaufnahmen zu machen.

IBRAHIM ÖZGÜR (1905-1959)

Ibrahim Özgür wurde 1905 in Istanbul geboren. Nach einer musikalischen Ausbildung an der Militärakademie in Ankara arbeitete er in Istanbuler Nachtclubs, gründete sein eigenes Orchester und wurde bekannt für seine aufregenden Arrangements. 1931 ging er für sieben Jahre auf eine Konzertreise in den mittleren und fernen Osten. Über England kam Özgür zurück nach Istanbul, wo er seinen eigenen Club eröffnete.

Erste Plattenaufnahmen stammen aus dem Jahr 1938. Özgür schrieb viele Tangolieder mit einem Sinn für das Nostalgische: Seine Samtstimme prädestinierte ihn für romantische Tangos, und er schrieb, wie er selbst sagte, die meisten seiner Tangos, um sich der zahlreichen Liebesbriefe seines weiblichen Publikums würdig zu erweisen.

Seine Inspiration aber bezog Özgür aus einer vergangenen, unerfüllten Liebe zu einer wahrhaften indischen Prinzessin - bei ihm sind das Unglück der Liebe, die Schmerzen der Trennung und der Sehnsucht nicht Versatzstücke aus zweiter Hand, sondern das emotionale Fundament seiner ausdrucksvollen Kunst.

 

RUSSLAND: PJOTR LESCHENKO (1898-1953)

Pjotr Konstantinowitsch Leschenko - das ist der "König des russischen Tango". Zwischen 1930 und 1950 war kein russischer Sänger der Emigration so populär wie er. Nicht nur im Ausland, sondern auch in Rußland selbst, obwohl dort keine einzige Platte von ihm offiziell herausgegeben wurde, da er als musikalischer Konterrevolutionionär galt.

Er begann seine Karriere als Tänzer und hatte seinen Durchbruch als Sänger erst 1930. Sein "natürliches" Repertoire bestand aus russischen Volksliedern und Zigeunerromanzen, aber seine Liebe und sein Ehrgeiz galten dem Tango. Eine Welle der Begeisterung trug Leschenko in den 30er Jahren durch ganz Europa, und ab 1935 hatte er in seiner Exilheimat Bukarest einen eigenen Nachtclub namens "Leschenko", das "Maxim des Ostens". Er spielte mit den besten Musikern in seinem eigenen Orchester und nahm zwischen 1931 und 1947 zahlreiche Platten auf, darunter viele Tangos, von denen die meisten eigens für ihn komponiert wurden.

 

GRIECHENLAND

In Griechenland hatte der Tango mit Sicherheit eine andere Bedeutung als in den meisten anderen europäischen Ländern , in denen er in den 20er und 30er Jahren seinen Siegeszug als populäre Tanzmusik antrat. Seit der politischen Einigung des Landes versuchte das griechische Bürgertum, eine Art Nationalkultur zu etablieren, die ihren Blick nach Westeuropa richtete und die nach über 500jähriger osmanischer Herrschaft offenkundig vorhandenen Elemente und Einflüsse orientalischer Kultur zu ignorieren und auszumerzen suchte.

In der populären Musik war dieser Versuch mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt. Die stark orientalisch beeinflußte Musik der kleinasiatischen Flüchtlinge vermischte sich mit der Musik der Manga-Subkultur in den Hafenstädten des Mutterlands zum Rembetiko, der trotz aller offiziellen Diffamierungs- und Unterdrückungsmaßnahmen zum Fundament der populären Musik des heutigen Griechenland wurde. Die Versuche, sich von der orientalischen, sprich türkischen Vergangenheit ab- und der erhofften europäisch-abendländischen Zukunft zuzuwenden, etwa mit dem Rückgriff auf das neapolitanische Lied, das französische Chanson oder eben den Tango, waren nur mäßig erfolgreich und konnten sich nicht durchsetzen. Allerdings gibt es damit auch von vielen griechischen Sängerinnen und Sängern, die in den 30er Jahren populär waren bzw. wurden, Aufnahmen griechisch gesungener Tangos, wenn auch die meisten von ihnen eher belanglos erscheinen.

Es gibt Ausnahmen - eine von ihnen ist mit Sicherheit SOFIA VEMBO (1912-1978). In ihren Tangoaufnahmen aus den 30er Jahren spürt man bereits die emotionale Kraft und Tiefe, die sie in den Jahren der faschistischen Okkupation zur musikalischen Leitfigur des Widerstands und später dann zur Diva der griechischen Populärmusik und zum Vorbild vieler jüngerer Sängerinnen werden ließen.

Vom bereits erwähnten Dilemma der "offiziellen" griechischen Kulturpolitik zeugt auch eine spezifisch griechische Variante des Tango: der ORIENTALISCHE TANGO, eigentlich eine orientalisch angehauchte Rumba. Anstatt nun aber die in der griechischen Musik zahlreich vorhandenen orientalischen Elemente aufzugreifen, wurde hier das von westeuropäischer Salonkultur gepflegte Bild eines exotisch-imaginären Morgenlands inklusive schwüler Haremserotik und bauchtänzerisch-schlangenbeschwörerischer Instrumentierung reproduziert. Ein kulturgeschichtliches Kuriosum, wenn auch im Ergebnis durchaus reizvoll!

 

ÄGYPTEN

FARID EL ATRACHE (1914-1974) und seine Schwester Amal El Atrache, genannt ASMAHAN (1918-1944), entstammten einer vornehmen syrisch-drusischen Familie, die in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in die politischen Kämpfe um die Unabhängigkeit Syriens von den Franzosen verwickelt war. 1924, nach dem Tode des Vaters, emigrierte die Familie nach Ägypten, und die Mutter mußte auf Familienfeiern und in Clubs zur Oud, der arabischen Laute, singen, um ihre Kinder durchzubringen.

Farids musikalisches Talent zeigte sich früh, er erhielt eine klassische Ausbildung, und als auch seine Schwester ihre Fähigkeiten als Sängerin entdeckte, begann eine einzigartige Doppelkarriere. An der Seite ihres Bruders, der sich schnell einen Ruf als emotionaler Sänger und stilprägender Meister der Oud erarbeitete, wurde Asmahan zur Legende. Beider Popularität wurde entscheidend gefördert durch den Film, der sich in den 30er Jahren im arabischen Kulturraum als Massenmedium durchsetzte. Farid erwarb sich Verdienste auch als Komponist und Arrangeur, der die klassische arabische Musik mit Flamenco- und Tangoelementen bereicherte, und Asmahan verstand es, die arabische Gesangskunst mit westlichen Techniken und Stilelementen zu vermischen, ohne ihre orientalische Substanz anzugreifen und ihr arabisches Publikum zu verunsichern.

Dieses fruchtbare und ungeheuer populäre Schwester-Bruder-Teamwork fand sein jähes Ende durch den von politischen Verschwörungstheorien umrankten Unfalltod Asmahans im Jahre 1944.

Farid El Atrache setzte seine Karriere allein fort, er wurde neben seiner Tätigkeit als Instrumentalist, Orchesterleiter und Komponist zum "Traurigen Sänger", der in einer endlosen Folge romantischer Filme reihenweise gebrochene Herzen hinterließ. Er hatte eine Unzahl von Affären mit Schauspielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen, die seinen Ruf als womanizer festigten und von seinem Publikum fasziniert verfolgt wurden, weigerte sich aber konsequent und standhaft, eine Ehe einzugehen; anfangs mit der Begründung, eine Heirat würde seiner Kunst schaden, später dann mit dem koketten Vorwand, als alter und kränkelnder Mann keine junge Witwe hinterlassen zu wollen. Der wahre Grund lag nach Meinung vieler seiner Freunde und Kollegen darin, daß es nie eine Frau geschafft hat, die Leere anzufüllen, die der frühe Tod seiner Schwester in seinem Herzen hinterließ.

 

ALGERIEN

LILI BONICHE wurde 1921 als Kind sephardischer Juden andalusischer Herkunft in der Kashbah von Algier geboren. Er verließ seine Familie bereits im Alter von zehn Jahren, um bei einem Haouzi-Meister (lokaler Stil der arabo-andalusischen Musik) die Oud zu lernen. Mit 15 Jahren debütierte er im algerischen Radio. Er löste sich aber zunehmend von klassischen Musikformen und fühlte sich magisch angezogen von der Musik, die in den 40er Jahren in den Nachtclubs der Länder der südlichen und östlichen Mittelmeerküste gepflegt wurde: Jazz, Flamenco, Mambo und Rumba trafen hier auf "etablierte" Tanzstile wie Tango oder Paso Doble und vereinigten sich mit der algerischen Chansontradition des "Chaâbi" zu einer swingenden und sinnlichen Mischung, die sich großer Popularität erfreute.

In der Verbindung dieser Musik mit seinem arabo-andalusischen und traditionell sephardischen Hintergrund entwickelte Lili Boniche nach und nach seinen eigenen Stil, den er "francarabe" nannte, eine elegante und stilsichere Form populärer Musik, die man durchaus Weltmusik hätte nennen können, wenn es diesen Begriff damals schon gegeben hätte. In den späten 40ern und frühen 50ern machte Lili Boniche Karriere als Protagonist dieses persönlichen Stils, zuerst in Algier, später in Paris, wo auch seine ersten Plattenaufnahmen entstanden.

In den neunziger Jahren hatte er ein Comeback in der inzwischen entstandenen Weltmusikszene, u.a. mit dem von Bill Laswell 1998 produzierten Album "Alger, Alger", und versuchte, den Charme und die Eleganz seines Stils in das Zeitalter elektronisch verstärkter und produzierter Musik hinüberzuretten.

Tracks:

Jean Moscopol:
1. Da-mi guritsa s-o sarut (Give me your sweet little mouth to kiss)

Hörbeispiel:
2. Vrei sa ne-ntalnim sambata seara (Will you join me on Saturday night)
3. Mai spune-mi inca-odata (Tell me again)
4. Mana, birjar (Get going, coachman)
Titi Botez:
5. Femeia, eterna poveste (Women, never ending story)
Seyyan Hanim:
6. Bir marti gibi (Like a dove)
7. Çapkin (Rascal)
Hörbeispiel:
8. Hasret (Longing)
Ibrahim Özgür:
9. Son nefes (My prayer)
10. Askin sesi (The voice of love)
Sofia Vembo:
11. Den echis tipota ma echis kati (It's nothing, yet it'something)
12. Ki an m'agapas mi mou to peis (If you love me, don't tell me)
Pjotr Leschenko:
13. Wernulas swowa ti (You came back)
Hörbeispiel:
14. Ostansja (Stay)
15. Anikuscha
16. Zabyt tebja (To forget you)
Danae & Panos Visvardis:
17. Aishe - Oriental Tango
Toula Amvrazi:
18. Sultana - Oriental Tango
Farid & Asmahan:
19. Ishak ya boulboul (My lover, my nightingale)
Lili Boniche:
20. Ana el owerka
Hörbeispiel:
veröffentlicht am 1.3.2001
Gesamtspielzeit: 66:40